Wie sieht es denn nun eigentlich aus mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der katholischen Kirche und katholischen Organisationen wie der Caritas?
Mir selbst, als Teil der LGBTQ+-Community und als Teil der katholischen Kirche liegt das Thema sehr nahe. Am 18.05.2021 schrieb ich mit zitternden Fingern eine Mail an meine Chefin und outete mich als trans*, #outinchurch war damals noch weit in der Zukunft. Zitternd nicht, weil ich dachte, meine Kolleg*innen würden mich auf persönlicher Ebene nicht akzeptieren, sondern weil ich wusste, das Thema ist ein großes Tabu sowie Problem in der katholischen Kirche.
Bereits als Kindergartenkind besuchte ich einen katholischen Gemeindekindergarten.
In meiner Schulzeit ging ich auf ein katholisches Gymnasium. Dort wurde mir ausdrücklich geraten, weder meine Sexualität noch meine Geschlechtsidentität auszuleben. Das Thema war entweder Tabu oder es wurde als etwas “Falsches” dargestellt. Weder meine Sexualität noch meine Geschlechtsidentität veränderten sich dadurch oder blieben einfach weg. Stattdessen behielt ich alles in mir und belastete meine Psyche damit ins Unermessliche. Ich hatte Angst, aufgrund meiner Geschlechtsidentität in der Schule benachteiligt zu werden und dann später meine Anstellung zu verlieren. Zu meiner Erleichterung traf ich sowohl bei meiner Chefin als auch bei meinen Arbeitskolleg*innen auf viel Akzeptanz, Verständnis und Unterstützung.
Das hat mir ganz klar gezeigt: die katholische Kirche kann auch anders. Ich wünsche mir, dass sich immer mehr Menschen trauen sich zu outen und auf Unterstützung in der katholischen Kirche treffen. Es ist nichts falsch daran, ein System, dass seit dem 13. Jahrhundert nicht maßgeblich verändert wurde zu hinterfragen. Ganz im Gegenteil, es ist dringend notwendig diese Ansichten und ihre Ursprünge zu analysieren und der heutigen Gesellschaft anzupassen.
Wir als Mitarbeitende der Caritas sollten immer wieder über das Thema der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt reden und aufklären, um auch den Druck an die katholische Kirche zu erhöhen. Ist es nicht widersprüchlich von Nächstenliebe und Selbstbestimmung zu reden und dann Menschen auf Grund ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität zu diskriminieren? Es ist wichtig, das Tabu aufzuheben und selbst gegen die Diskriminierungen vorzugehen und sich einzusetzen. Denn auch wenn man stillschweigend zu schaut, ist man Teil des Problems.
Anbei sind einige meiner Literaturempfehlungen für Groß und Klein, damit das Thema nicht erst besprochen wird, wenn es einen persönlich betrifft.
Ein Anfang des Umdenkens ist bereits geschehen, das Thema Sexualität und Geschlechtsidentität wird immer präsenter, egal ob in den Medien, im privaten Umfeld oder bei einem selbst. Und auch die katholische Kirchestellte sich nun dem Thema und veranstaltete am Montag, dem 14.02.2022, eine Online-Fortbildung zu der anfänglichen Frage. Zwei weitere Kolleg*innen und ich nahmen an dem Seminar teil, zusammen mit verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen der katholischen Kirche sowie der Caritas und ihren Arbeitsfeldern nahmen an dem Seminar teil.
Die Fortbildung begann mit einem Input der elementaren Informationen zu der Grundhaltung der Kirche gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Bis heute ist diese Grundhaltung unverändert aus dem 13. Jahrhundert weitergeführt. Sexualität solle es nur in der Ehe geben, geführt von einer Frau und einem Mann. Priester jedoch haben kein Recht, ihre Sexualität auszuleben, geschweige denn eine Partnerschaft oder Ehe zu führen. Alles andere als eine heterosexuelle Beziehung zwischen einer biologischen Frau und einem biologischen Mann sei “falsch” und nicht von Gott gewollt, deshalb werden diese Paare weder gesegnet noch als “normal” oder “richtig” anerkannt. Bis zum 14.02.2022 war es in Deutschland erlaubt, Mitarbeitende in der katholischen Kirche zu kündigen, auf Grund ihrer Sexualität beziehungsweise ihrer Partnerwahl. Mithilfe des Synodalen Weges (2019, Frankfurt am Main) sucht die katholische Kirche nun Antworten auf gegenwärtige Situationen, Probleme und Fragen und strebt einen Wandel an. In mehreren Synodalversammlungen stimmten und stimmen 230 Personen im Namen der Kirche über genau diese Antworten ab. Die Mehrheit entschied sich dafür, dass die Kirche Menschen nicht mehr auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität diskriminieren darf. Des Weiteren stimmten sie dafür, dass Bischöfe alle Paare, die sich lieben und binden wollen, segnen dürfen und sollen.
Außerdem wurde vereinbart, die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse so zu ändern, dass Entscheidungen für eine gesetzlich geregelte oder nicht verbotene Partnerschaftsform nicht mehr als Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten gefasst werden und entsprechend eine Einstellung in den kirchlichen Dienst verhindert bzw. eine Beendigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses herbeigeführt werden kann.
Siehe: (https://www.synodalerweg.de/dokumente-reden-und-beitraege) Diese Bestimmungen gelten jedoch nur im Bistum Limburg.
Einen weiteren großen Beitrag zu der momentanen Veränderung in der katholischen Kirche trägt die Bewegung #outinchurch bei. Bei der Bewegung geht es darum, dass sich Personen in der katholischen Kirche outen und damit ein klares Zeichen setzen. Es soll möglich sein, katholisch UND queer zu sein ohne sich diese spirituelle Heimat erkämpfen oder seinen Platz dort verteidigen zu müssen. Immer noch kämpfen queere Menschen in der Kirche mit Verurteilung, Scham und Beschämung. Verschiedene Personen, die an der Veranstaltung teilnahmen, meldeten sich zu Wort und erzählten von Diskriminierungen innerhalb der Kirche und/oder ihres Arbeitsplatzes. Deshalb ist es wichtig, Strategien zu entwickeln, um einen “Safe Space” für queere Menschen zu schaffen. In welchem sie sicher ohne Angst Teil der katholischen Kirche bleiben können.
Im Rahmen der Bewegung wurde eine Dokumentation von der ARD mit dem Titel “Wie Gott uns schuf” (zu sehen in der ARD-Mediathek) gedreht. Unterschiedliche Menschen in der katholischen Kirche berichteten von ihren Erfahrungen als queere Personen und der Wichtigkeit der Veränderung. Mithilfe einer Petition (https://outinchurch.de/) möchte die Organisation sieben Forderungen durchbringen:
- Wir wollen als LGBTIQ+ Personen in der Kirche ohne Angst offen leben und arbeiten können.
- LGBTIQ+ Personen müssen einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Handlungs- und Berufsfeldern in der Kirche erhalten.
- Das kirchliche Arbeitsrecht muss geändert werden. Ein offenes Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität, auch in einer Partnerschaft beziehungsweise Zivilehe, darf niemals als Loyalitätsverstoß oder Kündigungsgrund gewertet werden.
- Diffamierende und nicht zeitgemäße Aussagen der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität müssen auf Grundlage theologischer und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse revidiert werden. Dies ist besonders in Anbetracht weltweiter kirchlicher Verantwortung für die Menschenrechte von LGBTIQ+ Personen von höchster Relevanz.
- Die Kirche darf LGBTIQ+ Personen bzw. -Paaren den Segen Gottes sowie den Zugang zu den Sakramenten nicht vorenthalten.
- Eine Kirche, die sich auf Jesus und seine Botschaft beruft, muss jeder Form von Diskriminierung entschieden entgegentreten und eine Kultur der Diversität fördern.
- Im Umgang mit LGBTIQ+ Personen hat die Kirche im Laufe ihrer Geschichte viel Leid verursacht. Wir erwarten, dass die Bischöfe dafür im Namen der Kirche Verantwortung übernehmen, die institutionelle Schuldgeschichte aufarbeiten und sich für die von uns geforderten Veränderungen einsetzen
Es gibt bereits viele Verschiedene Organisationen um die LGBTQ+-Community in der katholischen Kirche zu unterstützen, wie das Katholische LSBT* Komitee, die HSK oder die AG Schwule Theologie e.V..
Bereits kleine Taten, wie das Unterschreiben der Petition oder das Einführen geschlechtssensibler Literatur in Kindertagesstätten, können helfen die Vielfalt in der katholischen Kirche zu etablieren und zu normalisieren.
Anton Becker – Pädagogische Unterstützung im Studium
Literaturempfehlungen:
Für Klein:
- Teddy Tilly – Jessica Walton & Dougal Allan Macpherson
- König und König – Linda de Haan & Stern Nijland
- Julian ist eine Meerjungfrau – Jessica Love
- Ein Baby! Wie eine Familie entsteht
Für Groß:
- Ich bin Linus – Linus Giese
- Die pinke Linie – Mark Gevisser
- Gender-Kram: Illustrationen und Stimmen zu Geschlecht – Louie Läuger